Friday, October 18, 2013

Initialzündung aus Moskau Was der Rubel-Kredit für den Assuan-Damm bedeutet

This is a November 1958 article for Die Zeit by my uncle Helmut von Schulmann about the Aswan Dam project in Egypt.  I am posting the text here so that I will have access to it in the future

Kairo, Anfang November

Das Projekt „Saad El Ali“ – Hochdamm – steht wieder auf der ägyptischen Tagesordnung, seit der Kreml einen Kredit von 400 Millionen Rubel (nominell ungefähr gleichviel D-Mark) für seine Durchführung zur Verfügung gestellt hat. Nachdem der ägyptische Wirtschaftsminister zu Beginn dieses Jahres das Projekt von der Prioritätsliste abgesetzt hatte, war vom Assuan-Hochdamm kaum mehr die Rede gewesen. Die Vorarbeiten, die Anlage von Zufahrtstraßen und der Bau von Arbeiterbaracken wurden jedoch im Hochdammgebiet südlich von Assuan mit bescheidenen Mitteln fortgesetzt. In unterrichteten Kreisen wußte man, daß Nasser die Absicht nie aufgegeben hat, alles zu tun, um das für die Gesamtwirtschaft des Landes überaus wichtige Vorhaben durchzuführen und daß er seinen Plan auch in den Gesprächen mit dem Sonderbevollmächtigten Chruschtschows, Mohiedinow, im September in Kairo behandelt hat.

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Seit der Ablehnung der Finanzierung des Hochdammprojekts im Herbst 1956 durch die Amerikaner ist die ägyptische Regierung mit aller Energie an die beschleunigte Durchführung des industriellen Fünfjahresplanes gegangen; es gelang Kairo, in Sowjetrußland, der deutschen Sowjetzone, in Japan und auch in der Bundesrepublik langfristige Kredite zu erhalten.

Die Durchführung dieses und weiterer Pläne vermag aber das schwerste Problem Ägyptens – die bei ungefähr gleichbleibender Anbaufläche schnell wachsende Bevölkerungszahl – einer Lösung nicht näher zu bringen; vielleicht ist sogar das Gegenteil der Fall: jede zusätzliche Beschäftigung bringt einen verstärkten Bedarf an Nahrungsmitteln mit sich, der schon heute aus der Eigenerzeugung nicht gedeckt werden kann.

Ägypten lebt vom Nil, dessen Wasserstand nicht nur jährlichen, sondern auch saisonalen Schwankungen unterworfen ist. Während der Monate Januar bis Juli führt der Nil zuwenig Wasser, und die Versorgung der Landwirtschaft kann in dieser Zeit nur durch die Ansammlung des Wassers in einer Anzahl von Stauseen, vor allem in Assuan, sichergestellt werden. Nach den Regenfällen in Äthiopien im März, April und Mai erreicht die Nilflut im Juli Ägypten und läßt den Strom ansteigen, so daß etwa 40 v. H. des wertvollen Wassers ungenutzt ins Meer abfließen. Durch den Hochdamm sollen ein Reservoir von 130 Milliarden Kubikmeter Wasser geschaffen und mit dessen Manipulierung eine regelmäßige und reichliche Versorgung des Landes gewährleistet werden. Flut und Ebbe würden dadurch ausgeschaltet und die Kultivierung von etwa 800 000 ha Neuland ermöglicht. Von besonderer Bedeutung ist die Möglichkeit einer Vergrößerung der Anbaufläche für Reis, dessen Ernte in diesem Jahr durch Wassermangel beträchtlich zu leiden hatte. Durch die Realisierung des Hochdamm-Projektes würde die Ackerfläche um 30 v. H. erweitert werden, zudem ein wirksamer Schutz gegen Überschwemmungen geschaffen. Diese fügen dem Land jährlich in die Millionen gehende Verluste zu. Schließlich würden sich die Entwässerungsbedingungen im Delta durch die Stabilisierung des Grundwasserspiegels erheblich verbessern. Die Nachteile (hohe Verdunstungsverluste im neuen Stausee und der Verlust der vom Nil mitgeführten Dungstoffe – „Nilschlamm“ –, die sich am Boden des Stausees ablagern würden) sind im Vergleich zu den großen Vorteilen eher geringfügig.

Der Stausee würde 110 Meter über dem Flußbett liegen. Dadurch könnten große Energiemengen ausgenutzt werden. Das vorgesehene Kraftwerk soll eine Kapazität von sieben bis zehn Milliarden Kilowatt-Stunden im Jahr erhalten, deren Gestehungspreis auf 5 Pfennig per kWh geschätzt wird. Der elektrische Strom soll durch Überlandleitungen in die Industriegebiete bis hinauf nach Kairo geleitet werden, wo eine große Anzahl neuer Industrien dadurch mit billiger Energie versorgt würde.

An der Ausarbeitung des Projekts haben sich viele ausländische Firmen, darunter in erster Linie deutsche, beteiligt. Erste Sachverständige der Welt haben sich mit dem Problem eingehend befaßt. Der Anfang 1955 aufgestellte Plan setzt die Gesamtkosten für den Bau des Damms – einschließlich des Kraftwerkes, der Überlandleitungen und der Urbarmachung von 0,8 Mill. Hektar Land – mit rund 240 Mill. Pfund an, von denen etwa 45 v. H. in ausländischen Devisen aufzubringen wären. Eine Schwierigkeit bei der Durchführung des Projekts liegt. auf politischem Gebiet.

Der Sudan und die anderen Anliegerstaaten des Nils können dabei nicht übergangen werden, und ohne eine Einigung mit ihnen dürfte das Projekt nicht durchführbar sein. Der Sudan hat den Wasserverteilungsvertrag mit Ägypten vom Jahre 1929 für ungültig erklärt und beabsichtigt – wie auch Äthiopien –, auf seinem Gebiet Staudämme zu errichten. Es kommt noch hinzu, daß die Hochstauung in Assuan weite Gebiete des Sudan, darunter auch die Stadt Wadi Haifa, unter Wasser setzen würde. Verhandlungen über die von Ägypten zu zahlende Entschädigung haben bisher zu keinen Ergebnissen geführt.

In diese Situation platzte die Bombe des russischen Anleiheangebots, das in der Linie des Sowjetvorstoßes im Mittleren Osten liegt und sich an den zu Beginn dieses Jahres gewährten Industrialisierungskredit von 700 Mill. Rubel (zu 2,5 v. H. auf zwölf Jahre) anschließt. Vorläufigen Mitteilungen zufolge wird der Assuan-Kredit von 400 Mill. Rubel (37,5 Mill. Pfund) in Form von Lieferungen für die Durchführung der ersten Etappe des Hochdammplans gewährt, die in vier Jahren beendet sein soll. Die Rückzahlung des 2,5prozentigen Kredits soll nach sechs Jahren beginnen und in zwölf Jahren abgeschlossen werden. Nach deutschen Berechnungen würden die Arbeiten in den ersten sechs Jahren 147 Millionen Pfund kosten, wobei erst im siebenten Jahr mit einer Regierungseinnahme von 2,5 Millionen Pfund gerechnet wird. Die Rückzahlungsbedingungen für die Sowjetanleihe sehen also eine verhältnismäßig kurze Zeit vor. Falls das Vorhaben programmgemäß durchgeführt wird, ist mit einer Steigerung des Volkseinkommens um rund 250 Mill. Pfund im Jahr zu rechnen, wodurch – über Steuern – eine normale Amortisierung der Anlagekosten gewährleistet sein würde.

Wie in Kairo zu hören ist, sollen die Arbeiten mit Hilfe der besten Experten aus der ganzen Welt durchgeführt werden. Von russischer Seite ist angekündigt worden, daß die Sowjetunion eine größere Anzahl von Technikern und Sachverständigen nach Ägypten delegieren will.

Helmut von Schulmann

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